Der 7. Oktober 2023 hat zu einer Explosion antisemitischer Ausbrüche, Beschimpfungen und Angriffe geführt. Aber die Problematik ist nicht neu: während der Corona-Pandemie wurden antisemitische Klischees bei Demonstrationen verbreitet und nicht zuletzt auch die Documenta 15 legte einen erheblichen Diskursbedarf über die zerstörerische Kraft des Antisemitismus für eine jede Gesellschaft offen. Antisemitismus ist keine partikulare Erscheinung ist, sondern durch „denselben Hass gegen den Humanismus des anderen Menschen“ (Emmanuel Levinas) charakterisiert. Mit ihm tritt folglich die Frage nach einer universellen Geltung von gleicher Würde und gleichen Rechten aller Menschen zutage oder, was dasselbe bedeutet, die Frage nach der Menschlichkeit des Menschen.
Einen wichtigen Diskussionsbeitrag hat Omri Boehm mit seinem Buch „Radikaler Universalismus“ geleistet, indem er die Verkennung eines „universellen Humanismus“ als Grundproblem gegenwärtiger gesellschaftspolitischer Entwicklungen unterschiedlicher politischer Couleur beschreibt. Vor diesem Hintergrund wird die Frage nach den großen Narrativen der monotheistischen Religionen – gerade auch angesichts ihrer grundlegenden Ambivalenzen – deutlich. Denn der allumfassende Anspruch des einen Gottes manifestiert einen Transzendenzbezug, der einen „kognitiven Schub“ (Jürgen Habermas) im Sinn eines machtkritischen Potenzials in der Geschichte der Menschheit darstellt. In einer ebenfalls radikalen Weise rekonstruiert Christoph Menke den Exodus als Möglichkeit universeller radikaler Befreiung.
Die Vortragsreihe greift die gegenwärtige Grundlagendebatte über die Legitimität des Universalismus auf und reflektiert das spannungsvolle Zueinander von Universalismus und Humanismus. Ihr vornehmliches Ziel besteht in der kritischen Prüfung politischer, theologischer und philosophischer Argumentationen, die einen universellen Humanismus begründen; zugleich soll die Rolle eines humanen Universalismus bedacht, dessen massive Infragestellung durch den Antisemitismus beleuchtet und sowohl produktiv als auch kritisch in den öffentlichen Diskurs eingebracht werden.
Veranstaltet wird die Reihe durch den Niedersächsischen Landesbeauftragten gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens Prof. Dr. Gerhard Wegner in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. René Dausner, Universität Hildesheim, gefördert durch die Hanns-Lilje-Stiftung und andere.