Interview mit Antje Niewisch-Lennartz, Synodale der Ev.-luth. Landeskirche Hannovers und frühere niedersächsische Justizministerin
Frau Niewisch-Lennartz, ein UN-Menschenrechtsausschuss
hat Anfang des Jahres gefordert, dass Klimaflüchtlingen das Recht auf Asyl nicht verweigert werden dürfe, wenn ihr Leben in Gefahr ist. Sollte Deutschland dieser Forderung folgen?
Antje Niewisch-Lennartz: Das Recht auf Asyl besteht nur für den Fall einer
politischen Verfolgung. Ein Klimaflüchtling kann sich auf diesen Schutz nicht berufen. Auch den Status eines Flüchtlings kann er gegenwärtig nicht
beanspruchen. Die Voraussetzungen der dafür geltenden Genfer Flüchtlingskonvention werden nicht erfüllt. Wer aufgrund der Klimakrise in der Heimat keine Lebensgrundlage mehr hat, wird sich aber trotzdem aufmachen. Für die Betroffenen ist das ein genauso zwingender
Fluchtgrund, wie die in der Konvention genannten Gründe.
In der Genfer Flüchtlingskonvention ist der Status eines Klimaflüchtlings nicht definiert.
Niewisch-Lennartz: Ja, und ich meine, das wird auch so bleiben. Die Flüchtlingskonvention ist ein Vertrag zwischen Staaten. Es ist illusorisch darauf zu setzen, dass sich die Vertragsstaaten durch eine entsprechende
Änderung verpflichten, jedem einen Anspruch auf Aufnahme bei sich zu
verschaffen, den die Folgen der Klimakrise aus der Heimat vertreiben. Ich
halte das angesichts der Tragweite der vor uns liegenden dramatischen Entwicklungen und der Zahl der Betroffenen für keine realistische Perspektive. Wenn ich sehe, wie viele Menschen in Afrika, Südasien oder den Inselstaaten in ihrer sozialen Existenz schon jetzt von klimabedingten Naturkatastrophen betroffen sind, wird es für alle ein Bleiberecht hier nicht geben. Auch wenn mir das politisch, moralisch und emotional nahe ist: Es wird nicht funktionieren. Rechte sollte man nur dann formulieren, wenn man zu deren Umsetzung bereit ist. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen, weg von multilateralen Vereinbarungen hin zu Nationalegoismen, halte ich ein Anfassen der Flüchtlingskonvention sogar für gefährlich. Ein Kampf um den Flüchtlingsstatus wird keine Lösung bringen.
Warum?
Antje Niewisch-Lennartz: Weil man ihn dann allen Betroffenen gewähren
muss. Man kann ein globales Problem nicht durch einen individuellen
Schutzanspruch lösen, der nur einigen Wenigen gewährt wird. Nach
welchen Kriterien sollte man da vorgehen? Das wären reine Symbolentscheidungen, die im schlimmsten Fall als Legitimation genutzt würden, beim CO2-Ausstoß auf konsequente Veränderungen zu verzichten. Wir müssen stattdessen alles daransetzen, die Klimakatastrophe aufzuhalten und zu verhindern, dass ganze Landstriche unbewohnbar werden. Das wird ohne spürbare Veränderungen am Status Quo hier nicht möglich sein. Lebensweise und Industrien müssen sich ändern. Nur so können wir dafür sorgen, dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben können.
Halten Sie den Begriff Klimaflüchtling für falsch?
Antje Niewisch-Lennartz: Nein, gar nicht. Der Klimaflüchtling ist eine Form des »Wirtschaftsflüchtlings«. Diese Bezeichnung wird als Sammelbezeichnung verwendet für diejenigen, die aus dem Raster der Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Der Begriff hat unausgesprochen die ungute Konnotation erhalten, diese Flüchtlinge kämen ohne Not, um von unserem sozialen Sicherheitsnetz zu profitieren. Welche Gründe in der Heimat sogenannte »Wirtschaftsflüchtlinge« zum Aufbruch treiben, bleibt aus dem Fokus. Mit der Bezeichnung »Klimaflüchtling« kommt man aus dieser Falle. Der Begriff stellt klar: Diese Menschen kommen, weil die blanke Not sie hertreibt. Und diese Not haben wir durch unsere Lebens und Produktionsweise in den Industrieländern zu verantworten!
Für welche Lösung plädieren Sie, wenn Menschen etwa wegen Dürre ihr Land verlassen müssen?
Antje Niewisch-Lennartz: Tut mir leid, dass ich da so beharre. Aber wir müssen alles daransetzen, dass sie wegen der Dürre das Land nicht verlassen müssen. Das umfasst auch die Unterstützung etwa für klimaangepasste Landwirtschaft vor Ort. Daneben wird es meines Erachtens nur politische Entscheidungen für Katastrophenfälle geben, wie zum Beispiel international ausgehandelte oder von einzelnen Ländern gewährte Quoten, über die einige der Betroffenen, die als besonders schutzbedürftig gelten, aufgenommen werden. Da läuft dann – wenn es gut geht – die Maschinerie an, es werden Geberkonferenzen organisiert und finanzielle Mittel, die das Schlimmste verhindern sollen. Das wird nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Wenige werden es schaffen, sich nach Europa durchzuschlagen und hier versuchen, ein Bleiberecht zu erreichen. Eine echte Perspektive daraus zu entwickeln, ist aber selbst für die, die es hierher geschafft haben, schwierig. Die besteht ausschließlich in einem konsequenten Kampf gegen die Erderwärmung.