Nach Ansicht des Hamelner Mediziners Heiner Ruschulte sollten sich Menschen frühzeitig damit befassen, bis zu welcher Grenze sie im Falle einer schweren Erkrankung oder Verletzung medizinisch versorgt werden wollen. „Diese Erkenntnisse sollten am besten schriftlich in einer Patientenverfügung festgehalten oder in einer Vorsorgevollmacht geregelt werden“, sagte der Chefarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin im Sana Klinikum in Hameln-Pyrmont im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Für jeden Menschen sei es ratsam, sich mit der eigenen Gebrechlichkeit und Sterblichkeit auseinanderzusetzen. „Die Frage, was soll mit mir werden, wenn ich mich nicht mehr selbst äußern kann, wer soll mich vertreten, welche Behandlungen wünsche ich, und wo setze ich Grenzen, sollte jeder mit ihm nahestehenden Menschen besprechen“, empfahl der Mediziner, der Kuratoriumsmitglied der evangelischen Hanns-Lilje-Stiftung ist.
Wichtig sei es in diesem Zusammenhang, sich zu fragen, welche Haltung man grundsätzlich gegenüber krankheitsbedingten Veränderungen im eigenen Leben empfinde. „Da sind Menschen sehr verschieden“, sagte Ruschulte. Wo der eine sagt, dass er sich ein Leben auch unter starken gesundheitlichen Einschränkungen vorstellen könne, sagen andere, dass für sie das Leben so nicht mehr erträglich wäre.
Um sich als gesunder Mensch in die Situation gesundheitlich stark beeinträchtigter Menschen hineinversetzen zu können, sei es hilfreich sich Beispiele aus dem eigenen Umfeld zu suchen. „Stellen Sie sich konkret vor, Sie würden in das Leben eines schwerstkranken Menschen schlüpfen, den sie kennen. Was würde Ihnen durch den Kopf gehen, wenn es Ihnen so erginge?“
Wer eine Patientenverfügung verfassen möchte, könne auf entsprechende Vordrucke zurückgreifen, wie sie von den Ärztekammern, Kirchen und der Politik angeboten würden, sagte Ruschulte. Diese könnten durch freiformulierte Wünsche ergänzt werden. Bei Fragen oder Unsicherheiten helfe der Hausarzt weiter. Dort könne die Patientenverfügung auch hinterlegt werden, damit sie im Fall der Fälle schnell zur Hand ist. Eine umfassendere Regelung sei mit einer Vorsorgevollmacht, die über die Gesundheitsvorsorge hinausgehen kann, möglich.
„Es ist unmöglich, alle klinischen Eventualitäten zu berücksichtigen“, sagte der Intensivmediziner“. Vielmehr gehe es darum, in der Patientenverfügung eine grundsätzliche Haltung zu Leben und Tod sowie Behandlung, Behandlungsbegrenzung und -abbruch zum Ausdruck zu bringen. In einer für die Behandler unsicheren Situation gelte es stets die Option auf das Leben zu erhalten.
„Die Patientenautonomie ist ein sehr hohes Gut“, sagte Ruschulte. Die Patientenverfügung gebe eine wichtige erste Orientierung. „Danach beginnt die Detektivarbeit.“ In enger Abstimmung mit den Angehörigen werde besprochen, wie die medizinische Behandlung im Sinne des Patienten weiter aussehe.
Gerade auch Angehörigen hilft die Patientenverfügung nach Ruschultes Erfahrung sich zu orientieren. Denn nicht immer seien die Wünsche des Patienten und die seiner nahen Verwandten identisch. „Man denke sich eine Ehefrau, die verständlicherweise ihren kranken Mann nicht verlieren möchte“, sagte der Intensivmediziner. „Ich sage in solchen Fällen oft, stellen Sie sich vor, Ihr Mann würde aus Ihrem Mund sprechen. Was würde er sagen?“ Dabei solle den Angehörigen keine schwere medizinische Entscheidung aufgebürdet werden, diese bleibe ausdrücklich bei den Behandlern.
(Text: epd)