Die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Martina Wenker, hat davor gewarnt, Leistungen der Krankenversicherung vom individuellen Lebensstil der Versicherten abhängig zu machen. „Der Gedanke klingt zunächst charmant, aber wir kommen sofort auf eine schiefe Ebene, die maximale Ungerechtigkeiten hervorruft“, sagte Wenker am Donnerstagabend bei einer medizinethischen Online-Diskussion der evangelischen Hanns-Lilje-Stiftung mit Sitz in Hannover. Krankenkassen erwägten immer wieder, Nichtraucher, Normalgewichtige oder Fitnessläufer besserzustellen. Doch viele Krankheiten wie Übergewicht seien genetisch bedingt, der Einzelne könne nichts dafür. Zudem ließen sich solche Angaben manipulieren: „Das ist störanfällig ohne Ende.“
Wenker verwies auch auf die Bedeutung der Umwelt auf die Gesundheit: Ob es sauberes Wasser oder gute Luft gebe, lasse sich durch den Einzelnen nicht beeinflussen. Skeptisch zeigte sie sich gegenüber elektronischen Gesundheitstrackern, die den Schlaf überwachten und Herzfrequenzen oder Schritte zählten. „Die Gefahr dieser Geräte ist, dass Menschen das eigene Körpergefühl verlieren.“ Sie blickten dann zu sehr auf Zahlen, statt sich die Frage zu stellen, wie es ihnen eigentlich gehe. So werde eine „Scheinsicherheit“ erzeugt.
Der Staatssekretär im niedersächsischen Gesundheitsministerium, Heiger Scholz, wies darauf hin, dass der allergrößte Teil der Gesundheitsausgaben auf die Versicherten im letzten Lebensabschnitt entfalle. „Die können das aber nicht mehr steuern, dass sie hochaltrig und schwer krank sind.“ Deshalb bringe es letztlich nicht viel, Versicherungsleistungen an den Lebensstil zu koppeln. Dies werde am Ende nur dazu führen, dass chronisch kranke oder behinderte Menschen unverhältnismäßig belastet würden.
Die Philosophin und Medizinethikerin Julia Inthorn sprach sich gegen eine Impfpflicht für Beschäftigte in Alten- und Pflegeheimen aus. In der Tat ließen sich viele Pflegekräfte nicht impfen. Entscheidend sei aber, nach den Ursachen dieser Zurückhaltung zu fragen. Einer der Gründe sei, dass vielen die nötigen Informationen fehlten. Mit einer guten Kommunikation lasse sich die Impfbereitschaft in der Regel aber wirkungsvoller erhöhen als mit der Drohung einer Impfpflicht, sagte Inthorn: „Die vermeintlich weicheren Methoden sind effizienter.“ Inthorn leitet das evangelische Zentrum für Gesundheitsethik in Hannover.
(Text: epd lnb mig)