Hannover/Göttingen (epd). Der Göttinger Soziologe Berthold Vogel wirbt dafür, angesichts zu erwartender Wohlstandsverluste die soziale Dimension von Wohlstand im Blick zu behalten. „Wohlstand ist nicht nur ein anderer Begriff für Konto, Konsum und Wertpapierdepot“, sagte der Sozialforscher am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vogel ist am Mittwoch (23. März) zu Gast bei einer Online-Diskussion der Hanns-Lilje-Stiftung zum Thema „Wie viel Gemeinwohl braucht unser Wohlstand?“ Der Wissenschaftler leitet das Soziologische Forschungsinstitut in Göttingen und forscht unter anderem zum sozialen Zusammenhalt.
„Öffentliche Güter, Freiheit und Sicherheit müssen die zentralen Indikatoren des Wohlstands werden“, sagte der Soziologe. Dazu gehöre der Zugang etwa zu Bildung, Pflege und Mobilität. Das solidarische Miteinander im modernen Sozial- und Rechtsstaat sei die Form des Wohlstandes, den Politik und Gesellschaft anstreben müssten. Dabei komme es entscheidend darauf an, dass Institutionen wie Behörden, Unternehmen, Schulen, Sportvereine, Verbände und Kirchen funktionierten. „Hier liegt der demokratische Treibstoff, hier müssen sich diejenigen finden, die vorangehen.“
Ohne eine „Gemeinwohl-Revolution“ drohten Krisen wie die Corona-Pandemie und zuletzt die steigenden Energiepreise die Gesellschaft zu spalten und zu zerklüften, sagte Vogel. Diese Krisen führten einmal mehr zu der Frage, wie eine Gesellschaft aussehen könne, die sich nicht allein über sozial und ökologisch zerstörerischen Konsum definiere. „Wir leben am Limit, in jeder Hinsicht, und es ist verantwortungslos, diese Tatsache nicht endlich in aller Klarheit zu benennen.“
Fraglich sei nicht, ob die neuen Verteilungsfragen kämen, sondern wie gut sich Politik und Gesellschaft auf sie vorbereiteten. Schon jetzt seien die materiellen Wohlstandsverluste spürbar. „Die Energiepreise treffen die Gesellschaft in ihrer Mitte. Abstiegsängste werden greifbar“, sagte Vogel. „Die Energiefrage ist eine knallharte soziale Frage, die auch bei denen einschlägt, die im Grunde heute noch recht gut dastehen.“
Eine gesellschaftliche Mitte, die um ihren Status kämpfe, grenze sich dabei oft nach unten ab, also zu Lasten der Armen und Marginalisierten. Der Wohlfahrtsstaat müsse deshalb so weiterentwickelt werden, dass der drohende Statusverlust der einen nicht zum sozialen Existenzverlust der anderen werde. Daher müsse gelten: „Einer trage des andern Last. Das ist je nach Vermögen ganz buchstäblich gemeint.“
epd-Gespräch: Urs Mundt (epd lnb ucm mig)