Knapp vier Wochen liegt der Anschlag auf Adolf Hitler jetzt zurück, und noch immer kommt es zu Verhaftungen echter oder vermeintlicher Mitverschwörer. In seiner Berliner Wohnung hat sich Hanns Lilje früh schlafen gelegt. Soeben ist er zurückgekehrt von einer ausgedehnten Wanderung. Ein kleines Vergnügen, das sich der Generalsekretär des Lutherischen Weltkonvents auch in diesen Zeiten gönnt.
Kurz darauf wird der Schlafende von heftigem Klingeln geweckt. Das berichtet er in seinem Buch „Im finstern Tal“, das 1947 erschien und in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Vor der Tür stehen zwei Männer, die Lilje unschwer als Angehörige der Geheimen Staatspolizei erkennt: „Gesichter und Gehabe sind eindeutig genug durch ihren Beruf geprägt“, erinnert er sich später. Man müsse eine Hausdurchsuchung durchführen, eröffnen ihm die Beamten. Lilje ahnt: Der behauptete Zweck des Besuchs ist nur ein Vorwand.
1945 wird er von amerikanischen Soldaten aus der Haft befreit. Als erster Landesbischof nach dem zweiten Weltkrieg prägte Hanns Lilje fortan eine neue Ära. Von 1947 bis 1971 setze er sich in besonderer Weise für den Dialog zwischen Kirche und Gesellschaft sowie zwischen Evangelium und Moderne ein. Als Pastor und Publizist war er weltgewandt und visionär zugleich. Er sucht das Gespräch mit Wissenschaftlern und Unternehmern ebenso wie mit Fabrikarbeitern. Er diskutierte mit Konrad Adenaer, der israelischen Permierministerin Golda Meir oder dem US-Präsidenten Harry S. Truman.
Hanns Lilje gilt als eine der wirkungsvollsten Persönlichkeiten des deutschen Protestantismus im 20. Jahrhundert. Ihm verdankt die Hanns-Lilje-Stiftung nicht nur ihren Namen, sondern auch ihre Rolle als Brückenbauerin für Kirche und Gesellschaft.