„Wie die meisten seiner Generation
stand Lilje der Technik im Prinzip aufgeschlossen gegenüber“, so Harry Oelke. In seinem Buch spricht Lilje – durchaus bewundernd – von der „Großmacht Technik“, die er als Teil des göttlichen Schöpfungsplans sieht. Seine Kritik richtet sich nicht gegen die fortschreitende Rationalisierung an sich: Maschinen, die Arbeitsabläufe automatisieren, oder die Einführung des „Scientific Management“ mit standardisierten und normierten Arbeitsabläufen beim heimischen Reifenproduzenten Continental. Diese Umwälzungen akzeptiert er als „Formgesetz des technischen und wirtschaftlichen Lebens“. Ihn stört die Übertragung dieses Prinzips auf Bereiche, in denen es seiner Ansicht nach „verderbend wirken muss“. Lilje spricht von der „Ungöttlichkeit der Rationalisierung, wenn sie zur Beherrscherin auch unseres täglichen Lebens zu werden droht“. Beobachtet haben will er diese Tendenz in Alltag und Familie, in Politik und Gesellschaft sowie im Geistesleben überhaupt: „An Stelle der Ordnung Gottes, die lebensschaffend, lebensfördernd, lebenserhalten wirkt, tritt das tote Schema erstarrter Form.“ Die Ablösung des Kaiserreichs durch die Weimarer Republik mit ihrem Parteienpluralismus ist für ihn ein Teil dieses Prozesses. Liljes „Inkonsequenz bestand aus heutiger Sicht darin, dass er die gesellschaftlichen Konsequenzen abgelehnt und damit auf halbem Wege in Richtung Moderne Halt gemacht hat“, so Oelke. Doch Oelke sieht Liljes herausragende Leistung darin, die Tragweite des technischen Denkens erkannt und erstmals theologisch gedeutet zu haben.
Quelle: Jahrbuch 2016 / 2017 der Hanns-Lilje-Stiftung, S. 16 f., herausgegeben von Prof. Dr. Christoph Dahling-Sander