In den kommenden Jahren
sollte er immer wieder sein kirchliches Amt nutzen, um öffentlichkeitswirksam gegen eine Remilitarisierung Deutschlands einzutreten. Der Streit um die Wiederbewaffnung war damit in der Führungsebene der evangelischen Kirche angekommen. Unterstützt wurde Heinemann vom einstigen NS-Widerstandskämpfer und Kirchenpräsidenten Martin Niemöller. Die kirchlichen Wiederbewaffnungsgegner befürchteten eine Vertiefung der deutschen Teilung durch die Aufstellung westdeutscher Streitkräfte. Auf der Gegenseite standen Theologen wie Eberhard Müller, Leiter der Evangelischen Akademie Bad Boll, und Landesbischof Hanns Lilje. Der von beiden mitgegründete Kronberger Kreis, ein evangelisch-konservativer Think-Tank nach amerikanischem Vorbild, unterstützte die Westbindungspolitik Adenauers. Die von Niemöller und dem Schweizer Theologen Karl Barth vertretene Vision eines neutralen, entmilitarisierten Deutschlands lehnten Müller und Lilje ab. Der Kronberger Kreis wandte sich gegen eine theologisch begründete Gegnerschaft zur Wiederbewaffnung: „Die Behauptung, es sei dem Christen gewissensmäßig unmöglich, für einen deutschen Wehrbeitrag zu stimmen oder sich an seiner Verwirklichung zu beteiligen, ist nicht in göttlichen Weisungen begründet“, so der Inhalt einer Denkschrift aus dem Jahr 1952, die Lilje mitunterzeichnete. Ausgetragen wurde der Streit in erster Linie durch einzelne kirchliche Persönlichkeiten. Der Rat der EKD konnte sich – ungeachtet des deutlichen Votums von 1950 – nicht mehr auf eine klare Stellungnahme einigen. Man sei der Überzeugung, „dass allein vom Evangelium her zu dieser Entscheidung bindende Weisungen nicht gegeben werden können“, hieß es 1955. Da waren die Würfel in Sachen Wiederbewaffnung längst gefallen. Im gleichen Jahr trat die Bundesrepublik der NATO bei. Wenig später wurden die ersten Freiwilligen der Bundeswehr vereidigt, ein Jahr darauf die allgemeine Wehrpflicht eingeführt.