Hanns-Lilje-Forum debattiert über Netzpolitik, Bürgerrechte und die Frage der Macht
Digitalisierung ist das aktuelle und zukünftige Megathema, heißt es derzeit oft aus Politikermunde. Diese Aussage, der in der politischen Realität häufig keine Handlungen folgen, hat das Hanns-Lilje-Forum ernstgenommen und das Thema gleich zweimal in den Mittelpunkt gestellt. Beim letzten Mal ging es um die Digitalisierung des Gesundheitswesens, diesmal um digitale Überwachung und Bürgerrechte. Mit Markus Beckedahl war dazu einer der prominentesten Netzaktivisten Deutschlands in die hannoversche Kreuzkirche gekommen.
Beckedahl, Gründer des Blogs netzpolitik.org und der Webkonferenz „re:publica“, kritisierte in seinem einleitenden Vortrag vor allem zwei Gruppen: gigantische Internetkonzerne und Geheimdienste. Letztere überwachten und speicherten faktisch sämtliche Datenflüsse, erläuterte der Berliner Journalist. Der ehemalige Agent Edward Snowden habe aufgedeckt, dass sein früherer Arbeitgeber, der US-Geheimdienst NSA, alle vorhandenen technologischen Möglichkeiten nutzte, um Menschen weltweit digital zu überwachen.
Nach den Veröffentlichungen Snowdens habe es in Deutschland nur ein paar Tage Empörung gegeben. Denn auch die deutschen Dienste steckten „knietief in diesem Sumpf“, unterstrich Beckedahl. Der Bundesnachrichtendienst (BND) habe mehrfach Gesetze gebrochen, später legalisierte die Regierung per Gesetz all das an digitaler Überwachung, was zuvor verboten war, sagte er weiter. Der BND habe heute sogenannte „Datenstaubsauger“ an allen Datenknotenpunkten in Deutschland platziert.
Politik und Sicherheitsbehörden behaupteten immer, dies diene dem Kampf gegen Terrorismus. Doch werde mit den Überwachungsmöglichkeiten sicher auch Wirtschaftsspionage betrieben, vermutet Beckedahl. Zudem könnten die gesammelten Datenmengen gegen Bürger eingesetzt werden. Die 2015 wieder eingeführte Vorratsdatenspeicherung sammele alle Telefonate sowie Handykontakte zu Internet- und Mobilfunkanbietern – was bei faktisch jeder Nutzung des Handys geschieht. Daraus entstehe eine Datenbank mit sämtlichen Bewegungsdaten einer Person. „Wir lassen zu, dass hier digital etwas gespeichert wird, was wir im analogen Leben niemals akzeptieren würden.“
Facebook macht nach jedem Skandal weiter wie zuvor
Ebenfalls problematisch sieht Beckedahl den Umgang mit Daten durch Internetriesen wie Facebook, Google oder Amazon. Nur geschehe dieser Missbrauch ganz offen. „Die Geschichte von Facebook ist eine Geschichte von Datenskandalen“, betonte er. Die Verantwortlichen entschuldigten sich nach Skandalen immer, machten dann jedoch genauso weiter wie zuvor.
Facebook ändere andauernd einseitig die Nutzungsbedingungen zum Nachteil der Nutzer. Doch diese hätten weder ein Widerspruchsrecht noch könnten sie Facebook verlassen, da es keine realistischen Alternativen gebe. „Es herrscht eine Friss-oder-stirb-Mentalität.“ Je jünger Nutzer seien, desto weniger könnten sie sich von Facebook oder „WhatsApp“ (das auch zum Facebook-Konzern gehört) freimachen, denn darüber laufe die gesamte digitale Kommunikation im Kollegen- und Freundeskreis. „Wir haben uns als Gesellschaft viel zu abhängig von Internetgiganten gemacht“, kritisierte Beckedahl. Öffentliche Räume mit verbrieften Grundrechten wichen immer stärker privaten Räumen mit einseitigen Geschäftsbedingungen. Dienste wie Facebook und Twitter entschieden mittlerweile sogar über Meinungsfreiheit, denn sie sollten nun selbst identifizieren, was „Hassbotschaften“ seien und diese löschen. Es gebe Probleme mit Hass im Netz, sagte Beckedahl. Doch wir müssten bessere Lösungen finden, als privaten Unternehmen hoheitliche Aufgaben zu übertragen. Es gehe um die Machtfrage. „Wir müssen Facebook bändigen statt dem Konzern immer neue Macht einzuräumen.“
Beckedahl forderte, die Bürger digital zu ertüchtigen. „Warum gibt es keine erklärenden Formate an prominenter Stelle im Fernsehen?“, fragte er. Die Sendung „Der 7. Sinn“ thematisierte früher in fünfminütigen Beiträgen Fragen der Verkehrssicherheit. So etwas könne es für die digitale Welt auch geben und durch die Haushaltsabgabe an die öffentlich-rechtlichen Sender finanziert werden.
Algorithmen sind nicht grundsätzlich schlecht
Nach dem Vortrag diskutierte Petra Bahr, Landessuperintendentin des Sprengels Hannover, mit Beckedahl. Sie lobte die Privatsphäre als eine Errungenschaft der Aufklärung. Lange mussten die Grundrechte erkämpft und gegen staatliche Eingriffe geschützt werden. Heute verschiebe sich dies in Richtung Zugriffsschutz vor Konzernen. Für Seelsorger sei „WhatsApp“ aber sowieso nie geeignet gewesen.
Diskussionen über die digitale Welt tragen oft religiöse Züge, sagte Bahr. Es gebe dort umfassende Heilsversprechen genauso wie apokalyptische Ankündigungen. Die Wahrheit liege wohl irgendwo in der Mitte. Algorithmen seien beispielsweise nicht per se schlecht. In der Krebsforschung seien die automatischen Programme sehr nützlich, sagte die evangelische Theologin.
Beckedahl warb in der Diskussion dafür, die bestehenden Grundrechte auch endlich online umzusetzen. Doch bei aller Kritik lobte er auch die hiesige Gesellschaft. In netzpolitischen Diskursen sei Deutschland „Weltklasse“. Hier beschäftigten sich schon sehr früh viele Menschen mit Fragen der digitalen Privatsphäre, was in Ländern wie etwa den USA jetzt erst langsam beginne.
Text: Stefan Korinth